Zerstörung des historischen Bahnhofs Edenkoben – Die Metzel-Supp
(Beitrag aus „Hecker und Mucker“, Ausgabe 2 vom November 2024, Verfasser: Manfred Ullrich).
Während des Krieges und auch noch eine geraume Zeit danach hielten sich viele Leute auf dem Land so auch in Maikammer ein oder sogar mehrere Hausschweine, soweit dies die vorhandenen Räumlichkeiten zuließen oder dafür geschaffen werden konnten.
Wegen der damals noch sehr eingeschränkten, aus heutiger Sicht recht primitiven Kühlmöglichkeiten, wurden diese Schweine grundsätzlich nur in den Wintermonaten geschlachtet. Die dafür eigens ins Haus bestellten Metzger, die in der Regel keine eigene Metzgerei betrieben, wurden deshalb auch, „Advents-Metzger“ genannt; der Tag der Schlachtung, der ja eine Reihe von organisatorischen Vorbereitungen erforderte, wurde „Die Metzel-Supp“ genannt und begann sehr zeitig in der Frühe.
So stand im Weingut von Josef Ullrich II, meinem Opa väterlicherseits, für den 05.01.1945 auch wieder eine solche Hausschlachtung an (den genauen Termin konnte ich im Internet recherchieren).
Am gleichen Morgen stand unmittelbar vor dem Bahnhof in Maikammer ein kompletter Güterzug mit mehreren Dutzend Güter-Waggons, vollgeladen mit diverser Kriegsmunition. Zu diesem Zeitpunkt besaßen in unserer Gegend die Alliierten schon die absolute Luft- Hoheit und griffen ihre Ziele, über das Kalmit-Gebirge anfliegend, am helllichten Tag im Tiefflug an. Oft waren dies gezielt die Lokomotiven der auf der Strecke Neustadt-Landau fahrenden Züge.
Der damalige Bahnhof-Vorstand, ein Herr Becker aus Maikammer, wusste um die brisante Fracht und um die davon ausgehende Gefahr. Er veranlasste deshalb, vielleicht dazu berechtigt, vielleicht aber auch unberechtigt, eine Weiterfahrt des Zugs in Richtung Landau.
Der Zug kam nicht mehr weit und wurde direkt vor dem damals prachtvollen historischen Edenkobener Bahnhof von Tieffliegern ausgemacht und in Brand geschossen. Ich meine mich zu erinnern, dass die dadurch ausgelösten hundertfachen Explosionen über nahezu zwei Tage dauerten; auf jeden Fall zeigte uns am Abend unser Onkel vom südlichen Balkon aus das immer noch andauernde farbvolle „Feuerwerk“.
Zurück zum Morgen: Die ganze Schlacht-Gesellschaft und auch alle Bewohner von Maikammer vernahmen die heftigen Explosionen, wussten aber anfangs nicht um die genaue Ursache; manche vermuteten sogar schon die sich nähernde Kriegsfront. Offenbar befanden sich unter der Zugladung auch zahlreiche schwere Geschosse, die sich über ihre Treibsätze über mehrere Kilometer bewegen konnten und von denen auch einige in Maikammer einschlugen.
Unsere Schlacht-Partie nahm nun einen grotesken Verlauf: Jedes Mal, wenn sich ein solches Geschoss mit lautem Zischen oder Jaulen ankündigte, stürzte sich die ganze Schlacht-Gesellschaft in aller Hektik, anfangs teilweise noch mit blutverschmiertem Metzgermesser in der Hand, die Kellertreppe hinab, um wenige Minuten später wieder ihre Arbeit in der „Wurstküche“ fortzusetzen.
Zwischendurch in diesem Chaos überbrachte dann mein anderer Opa, der ebenfalls bei der Schlachtung mithalf, die für meine Mutter schockierende Nachricht „Rösel, dein Haus ist weg“. Unser Wohnhaus stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite und auf dem Rasen vor dem Haus war, wie sich ein paar Minuten später herausstellte, eine harmlose Nebelgranate eingeschlagen und explodiert. Zuerst war tatsächlich nichts mehr von unserem Anwesen zu sehen.
Nach vielen Unterbrechungen wurde die Schlacht-Partie am späten Nachmittag beendet – die nahen Explosionen dauerten unvermindert an.
Wie sich später herausstellte, war in Maikammer dennoch jemand zu Schaden gekommen. Das letzte Haus auf der rechten Seite der Hauptstraße in Alsterweiler war von einem großen Explosionsgeschoss getroffen und stark beschädigt worden. Der Bewohnerin, einer Frau Keim, soll dabei die Nasenspitze abgerissen worden sein – auf jeden Fall hatte sie schwere Gesichtsverletzungen erlitten. Für uns Kinder war das eine sensationelle Nachricht, sodass wir später loszogen, um uns das beschädigte Haus selbst anzusehen. Obwohl das Geschoss aus dem südlich gelegenen Edenkoben angeflogen sein musste, war es dort in die westliche Hauswand eingeschlagen.
Vom prachtvollen historischen Bahnhof in Edenkoben standen nach diesem Ereignis nur noch ein paar Grundmauern; er wurde später durch einen schmucklosen Neubau ersetzt.
Bahnhofvorstand Becker wurde in Maikammer als eine Art „Held“ gefeiert, hatte er doch unseren Bahnhof und Ort vor dem Edenkobener Schicksal bewahrt!